So eine Hauptrolle will niemand haben. Darmstadts Aleksandar Vukotic hatte mit zwei Fehlern die Niederlage gegen Fortuna Düsseldorf verursacht. Er hatte den Ball ins eigene Tor geköpft und einen Rückpass in den Lauf eines Düsseldorfer Stürmers gespielt, was Othmane El Idrissi zu einer Notbremse zwang. Dem 17-Jährigen wurde dafür in seinem ersten Spiel als Profi die Rote Karte gezeigt.
Vukotic hatte später sichtlich ein schlechtes Gewissen. Als die Darmstädter Mannschaft vor ihre Fans trat, legte der 29 Jahre alte Hüne väterlich seinen Arm um die schmalen Schultern des Teenagers und sprach ihm gut zu. Das Profidebüt sei etwas besonderes. „Er sollte den Tag trotzdem in guter Erinnerung behalten“, sagt Vukotic der F.A.S. Während El Idrissi aber vom DFB-Sportgericht für den Platzverweis für zwei Spiele gesperrt wurde, wird Vukotic in Paderborn an diesem Sonntag (13.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur 2. Bundesliga und bei Sky) wieder auflaufen. Und darauf brennen, etwas wiedergutzumachen.
Der Auftritt des Serben führte vor Augen, warum es im Leistungssport vor allem darum geht, grobe Fehler zu vermeiden. Denn wenn man von den beiden Patzern absieht – was sein Trainer Torsten Lieberknecht tat, er sprach von „unglücklichen Situationen“ und ausdrücklich nicht von der „Schuld an der Niederlage“ – dann war Vukotic in seinem ersten Pflichtspiel für Darmstadt 98 der Beste im „Lilien“-Trikot gewesen.
Noch besser ist er im Kopfballspiel
Gegen Düsseldorf klärte er fünfmal den Ball durch gutes Stellungsspiel und eine entschiedene Grätsche, die das Publikum erwartungsgemäß am meisten begeisterte. Damit war er allein für ein Drittel der Darmstädter Klärungsaktionen verantwortlich. In der vergangenen Saison gehörte er in dieser Kategorie laut Opta zu den besten zwei Prozent unter den Innenverteidigern der Liga.
Noch besser ist er im Kopfballspiel. Er gewinnt über 83 Prozent seiner Duelle, kein Düsseldorfer hatte eine Chance gegen Vukotic in der Luft. Pässe nach vorn, die gegnerische Verteidigungen in Verlegenheit bringen, spielt er dagegen selten. Sein Passspiel ist solide, aber bieder. Vukotic ist vor allem eins: der kompromisslose Verteidiger.
Als solcher wurde er schon früh geachtet. Auf YouTube gibt es dieses krisselige Video. Man sieht ein Bankett, weiße Tischdecke, Servietten zu Hütchen gefaltet. Am Tisch sitzen Teenager. Sie jubeln, als einer von ihnen einen goldenen Pokal erhält, die Auszeichnung ihres Vereins FC Volley aus der serbischen Kleinstadt Vrnjačka Banja als bester Nachwuchssportler 2007. Es ist der 12 Jahre alte Vukotic. In der Videobeschreibung steht, der Junge sei „ein Kämpfer bis zum letzten Atemzug“ und habe daher seinen Spitznamen erhalten: „Terminator“.
So haben die Trainer Vukotic tatsächlich genannt, weil er einfach nicht aufgab. Erst spielte er als Linksverteidiger, bis sein Körper in wenigen Monaten um mehr als 20 Zentimeter in die Höhe schoss. Vukotic weiß nicht, wie alt er damals war, noch ein Jugendlicher jedenfalls. Und auf einmal 2,01 Meter groß. Ein so langer Junge gehört in die Innenverteidigung, befanden die Trainer.
„Es war eine richtig tolle Gruppe“
Mit 19 wechselte er vom FC Volley zu FK Krupa in die zweite Liga Bosniens und Herzegowinas. „Das war die beste Zeit in meiner Karriere“, sagt er der F.A.S. Er spielte bei einem kleinen Verein, aber in einer Mannschaft mit großem Zusammenhalt. In der Kabine trafen Spieler, die wie Vukotic orthodoxe Christen sind, auf Katholiken und Muslime. Was historisch zu Tod und Vertreibung geführt hatte, „interessierte uns überhaupt nicht“, sagt Vukotic. „Es war eine richtig tolle Gruppe, wir verstanden uns hervorragend.“ Der kleine FK Krupa stieg in die erste Liga auf.
Vorher waren Vukotic und seine Mannschaftskameraden Amateure gewesen. Mit dem Aufstieg bekamen sie Profiverträge. Vukovics persönlicher Aufstieg ging weiter in die zweite belgische Liga zu SK Beveren. Dort wurde Paul Fernie auf ihn aufmerksam. 2021 war er Sportlicher Leiter von Wehen Wiesbaden und Belgien einer der „Hauptmärkte“ für Spielereinkäufe geworden. Immer wieder fuhr Fernie nach Beveren. „Irgendwann hatte ich Vukotic gegen alle möglichen Stürmer spielen sehen“, sagt er, gegen die großen, kleinen, klotzigen, quirligen. Er dominierte sie alle.
In ihrem ersten Gespräch fragte Fernie Vukotic nach dessen Vorbild. Die Antwort überraschte ihn nicht: Nemanja Vidic. Als Kind hatte Vukotic ihn spielen sehen, viele Male im Stadion in Belgrad. Als Vidics Stern aufging bei Roter Stern sah Aleksandar mit großen Augen von der Tribüne aus zu. Vidic trug die Rückennummer 26, deshalb suchte sich Vukotic die später in Belgien und in Wiesbaden aus. Bei Darmstadt 98 ist er zur 20 gewechselt, weil die 26 schon vergeben ist.
Vidic hat mit Manchester United die Champions League gewonnen. Er war einer der besten Verteidiger der Welt. Für Vukotic ist er noch heute, acht Jahre nach seinem Karriereende, der Größte. Ihrem Spielstil nach könnten Vidic und Vukotic Brüder sein, so sehr ähneln sie sich, wenngleich auf sehr unterschiedlichem Niveau. Auch Vidic spielte kaum einen Pass nach vorn, aber er verteidigte das Tor wie ein Löwe. Und in der Luft war er so gut wie nicht zu schlagen.
„Vidic wollte bei United immer gewinnen“
Das Wichtigste sei die Einstellung, sagt Vukotic: „Vidic wollte bei United immer gewinnen, dafür musst du bis zum letzten Moment alles geben.“ Und so spiele er eben auch. Hat er sein Idol jemals getroffen? „Ich wünschte es!“ Vielleicht in der Zukunft, wobei Vidic ja heute in England lebe. Dort hat Vukotic noch nicht gespielt, obwohl man ihn sich dort vorstellen kann.
Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
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Und wie die Fans ihn lieben würden für eine meterlange Grätsche an einem kalten nassen Abend in Stoke. Sollte es jemals dazu kommen, dann könnte Vukotic seinen englischen Sportdirektor Fernie um Rat fragen, wie man sich auf der Insel einlebt. Gehen lassen möchte der ihn aber noch lange nicht.